Liebe Kolleginnen und Kollegen,
es ist geschafft! Gestern, am späten Abend, hat der Bundesdestag in 2./3.Lesung das Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) verabschiedet –inklusive der Entbudgetierung hausärztlicher Leistungen. Viele Jahre lang haben die Hausärztinnen- und Hausärzteverbände auf Landes- und Bundesebene in der Öffentlichkeit und hinter den Kulissen dafür gekämpft, dass die Politik endlich die Krise der hausärztlichen Versorgung erkennt und Maßnahmen ergreift. Dass noch in dieser Legislaturperiode erste konkrete Verbesserungen beschlossen wurden, ist ein großer Erfolg für uns alle und unseren Verband, der beweist, dass sich unsere berufspolitische Arbeit lohnt! Dabei mussten wir uns nicht nur gegen die Krankenkassen, sondern auch gegen Teile der ärztlichen Selbstverwaltung durchsetzen, die lieber alles beim Alten gelassen hätten, statt dafür zu arbeiten, die gebeutelten Praxen zu entlasten.
Nachdem die Ampel zerbrochen ist, war nicht damit zu rechnen, dass es doch noch zu einer Reform kommt. Aber: SPD, Grüne und FDP haben Wort gehalten und sich auf den letzten Metern noch einmal zusammengerauft. Das ist ihnen hoch anzurechnen.
Natürlich ist die Reform nicht perfekt und die Umsetzung wird nicht trivial. Aber es ist zweifellos eine Verbesserung zum aktuellen Status quo! Während andere lieber seit Jahren und Jahrzehnten die Hände in den Schoß legen, haben wir erfolgreich für Verbesserungen gekämpft.
Viele von Ihnen haben jetzt Fragen zu der genauen Ausgestaltung. Nicht alle können derzeit schon beantwortet werden, denn die detaillierte Ausarbeitung obliegt der Selbstverwaltung. Dennoch wollen wir versuchen, die wichtigsten Punkte darzustellen und in diesem Zuge auch einige falsche Gerüchte zu entkräften.
Wer profitiert von der Entbudgetierung?
Profitieren werden zunächst die Regionen, in denen eine Budgetierung greift. Das sind beispielsweise die Stadtstaaten wie Berlin und Hamburg, aber auch Flächenländer wie Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Gleichzeitig schützt die Regelung auch vor zukünftigen Budgetierungen. Mehrere KV-Regionen bewegen sich hier bereits an der Grenze und wären vielleicht in absehbarer Zeit ebenfalls budgetiert worden. Wichtig ist auch: Für Hausarztpraxen in KV-Regionen, in denen es keine Budgetierung gibt, ändert sich nichts. Sie verlieren kein Geld. Dafür sorgt die so genannte MGVplus-Regelung, für die der Hausärztinnen-und Hausärzteverband eingetreten war.
Bringt die Entbudgetierung neues Geld für die hausärztliche Versorgung?
Ja! Aktuelle Berechnungen gehen davon aus, dass durch die Regelung zusätzlich zwischen 300 und 500 Millionen Euro pro Jahr in die hausärztliche Versorgung fließen. Gerüchte, wonach kein frisches Geld für die Finanzierung der Entbudgetierung zur Verfügung steht, sind falsch.
Werden alle Leistungen entbudgetiert?
Nein. Das ist ein Wermutstropfen dieser Regelung. Entbudgetiert werden „nur“ die Leistungen nach Kapitel 3 und die Hausbesuche. Diese machen allerdings über 90 Prozent der hausärztlichen Honorare aus. Wir haben bis zuletzt dafür gekämpft, dass beispielsweise auch psychosomatische Grundversorgung und Ultraschalluntersuchungen ohne Budgetgrenze bezahlt werden. Hierzu konnte sich der Gesetzgeber aber nicht durchringen. Dennoch: Am Ende des Tages wird den Hausarztpraxen in budgetierten Regionen unter‘m Strich mehr Geld zur Verfügung stehen.
Was ändert sich bei der Versorgung von Chronikern durch die (Halb-)Jahrespauschale?
Die (Halb-)Jahrespauschale wird nur einen kleinen Teil der Chroniker betreffen, nämlich die so genannten „Mono-Chroniker“. Das sind Patientinnen und Patienten, die an einer chronischen Erkrankung leiden, nur ein Medikament einnehmen und bei denen kein intensiver Betreuungsbedarf besteht. Berechnungen gehen davon aus, dass dies ungefähr 1,5 Millionen Patientinnen und Patienten sind. Pro Praxis sind dies ungefähr 10 bis 15 Patientinnen und Patienten pro Quartal. Für alle anderen Patientinnen und Patienten ändert sich nichts! Bei diesen wird man nach wie vor die bekannten Quartalspauschalen abrechnen können.
Kann der hausärztlichen Versorgung dadurch Geld entzogen werden?
Nein! Der Gesetzgeber sieht ausdrücklich vor, dass die Neugestaltung kostenneutral zu sein hat. Das bedeutet: Es wird genauso viel Geld fließen wie bisher auch. Allerdings ändert sich der Auszahlungsmodus zur Versorgung eines kleinen Teils der chronisch erkrankten Patientinnen und Patienten.
Was sind die Vorhaltepauschalen?
Bisher haben alle hausärztlichen Praxen gleichermaßen die GOP03040 abgerechnet. Diese wird zukünftig durch eine Vorhaltepauschale ersetzt. Sinn und Zweck des Gesetzgebers ist, dass die Praxen, die klassische hausärztliche Versorgung gewährleisten, mehr Geld erhalten als früher.
Kann die Vorhaltepauschale zu einem Minusgeschäft für die hausärztliche Versorgung insgesamt werden?
Nein! Der Gesetzgeber sieht vor, dass die Neugestaltung kostenneutral zu sein hat, genau wie bei der Chronikerpauschale. Richtig ist aber, dass Praxen, die klassische hausärztliche Versorgung anbieten, stärker als bisher profitieren sollen. Praxen, die keine klassische hausärztliche Versorgung leisten, sollen hingegen weniger als bisher profitieren. Hier kann es also zu gewissen Verschiebungen kommen, die jedoch aller Voraussicht nach eher gering ausfallen werden.
Müssen Praxen jetzt sehr hohe Anforderungen erfüllen, um zukünftig überhaupt noch Geld zu erhalten?
Die Details werden von der Selbstverwaltung verhandelt. Was man aber bereits sagen kann, ist: Das zur Verfügung stehende Geld muss auch in Zukunft voll ausgezahlt werden. Insgesamt wird der hausärztlichen Versorgung also kein Geld entzogen. Auch die Sorge, dass einige Praxen zukünftig sehr viel Geld bekommen und andere gar nichts mehr, ist ungerechtfertigt.
Richtig ist aber: Bisher sind die Kriterien der Vorhaltepauschale nicht genau definiert. Dies wird die Selbstverwaltung verhandeln müssen. Auch der Mechanismus ist noch unklar. Laut Gesetz sollen die Kriterien beispielsweise eine bedarfsgerechte Versorgung mit Haus-und Pflegeheimbesuchen, bedarfsgerechte Öffnungszeiten, das vorrangige Erbringen von Leistungen aus dem hausärztlichen Fachgebiet oder die regelmäßige Nutzung von Anwendungen der Telematikinfrastruktur umfassen. Welche Kriterien am Ende wirklich aufgenommen und wie diese dann gewichtet werden, steht aktuell noch in den Sternen. Um das noch einmal zu verdeutlichen: Entgegen anderslautenden Gerüchten werden im Gesetz nicht Kriterien wie etwa Samstagssprechstunden vorgegeben.
Mit kollegialen Grüßen
Dr. Markus Beier Prof. Dr. Nicola Buhlinger-Göpfarth
Bundesvorsitzender Bundesvorsitzende